Page 5 - Quartal-1-2023
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Akustik/Decke/Trockenbau
Räume (er)hören
Hörende Ohren im Raum interagieren mit Menschen, sowie Materialien, Produkten und Ausstattungen räumlicher Begrenzungsflächen und stehen in permanenter Wechselwirkung. Damit wird Raum physisch-körperlich erfahrbar, psychisch-mental interpretierbar und gesellschaftlich-soziales Verhalten erwartbar.
Angestoßen wird der Prozess allgemeiner akustischer Wahr- nehmung und geht über in subjektive Interpretation des Ge- hörten und mündet in gesellschaftsrelevanter Reaktion und entsprechendem Handeln. „Gute“ Raumakustik ist stets das Zusammenspiel origineller Entwurfsgedanken, physikali- schem und audiologischem Wissen, Berücksichtigung indivi- dueller Bedürfnisse und Nutzerfahrungen sowie späteren Ver- änderungsmöglichkeiten durch Interpreten.
Der orchestrierte Raum
Akustisches Verständnis setzt neben Qualität der Schallquelle und subjektiven Wahrnehmungsvermögen hörender Ohren auch entsprechende Beschaffenheit räumlicher Umgebung voraus. Entwurf und Planung von akustisch überzeugenden Räumen wird sich nicht länger nur auf visuelle Ästhetik, Physik und Konstruktion konzentrieren; vielmehr braucht es Wissen über Schallwirkung und individuelle Klanginterpretation.
Menschen sind räumliche Wesen; sie nehmen sich und die Umgebung wahr, wollen die permanente Wechselwirkung und Interaktion verstehen, um daraus ihr Verhalten zu begründen und gegebenenfalls zu korrigieren. Hören – sich selbst und an- dere zu hören und zu verstehen – weist den Räumen Bedeu- tung zu, setzt tiefe Emotionen frei und motiviert zum Handeln. Das übergeordnete attraktive Ziel ist inspirierende Stimmigkeit und Stressfreiheit. Nach dem Schallereignis bilanzieren und reflektieren Menschen das Ergebnis und den Verlauf der Inter- aktion mit der Umgebung.
Prinzip der Raumgestaltung:
Akustik verstehen, behandeln und verinnerlichen.
Ein Klangerlebnis ist erst möglich, wenn Hörbedingungen ob- jektiv und Hörvermögen subjektiv in Einklang gebracht wer- den. Für den Erfolg eines Mensch-im-Raum-Entwurfs ist die Orchestrierung entscheidend. Dabei geht es nicht nur um Musik und die musikalische Farbenpalette passend auf das Thema des Stücks anzuwenden, sondern auch um das ge- genseitige Verständnis und Timing bei jeder Art von Auffüh- rung; also auch um Tagungen, verbaler Kommunikation und Dialoge. Was für erfolgreiche Orchester selbstverständlich ist, müssen Architekten, Designer und Veranstaltungsmanager häufig noch lernen. Die meisten Räume sind dezentral organi- siert, dabei ist kaum oder gar keine Vernetzung gegeben. Hin- sichtlich Strategie, Umsetzung und flexibler Anwendung be- steht noch erheblicher Nachholbedarf. Die Folgen: Menschen verpassen ihre Einsätze, Teams produzieren Alleingänge, Themen werden fehlinterpretiert; Sinnhaftigkeit wird vermisst. Im Ergebnis entsteht ein mangelhaftes Zusammenspiel ohne Synergieeffekt, das keinen Applaus verdient.
Die funktionale und architektonische Orchestration umschreibt die Kunst der Komposition und ist letztlich eine andere Art von Erklärung guten Klangs durch Darstellung seiner Merkmale im Notenblatt oder eben in der Zeichnung. Orchestration ist die Kunst der Verwandlung des Hörens und des Spürens ge- schriebener und geplanter akustischer Effekte unter Einbezug interaktiver und synästhetischer Raumwirkung.
Prof. Dipl. Ing. Rudolf Schricker
Initiative „Bauen heisst Hören!“ – Hybride Fortbildungs- symposien im Früh- jahr und Herbst – für Entwurf und Planung, Hochschullehre und Forschung.
Programm und Termine: www.staudigel.de/de/ akustikkompetenz
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BDB-Nachrichten Journal 1/2023
Musikschule Essenbach, Fotos: Staudigel GmbH
CongressCentrum Heidenheim Bayerischer Landtag München