Page 10 - BDB-Spezial_1-2020
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„BAUEN heißt HÖREN!“ –
Gründe für eine bessere Raumakustik Thesen eines verhaltenen Gestaltungsoptimismus
These I:
Die meisten Räume werden bislang bei nahezu Taubheit ent- worfen.
Entwerfen passiert vornehmlich auf einer optisch-visuellen Ebene. Räume für Augen. Licht, reflektiertes Licht, also Farbe, Proportionen, Strukturen, Materialien ... allesamt optisch- ästhetische Beschreibungen. Noch fataler: Architektur für Ohren scheint es beim Entwerfen kaum zu geben.
Vergessen die Worte Le Corbusiers „Architektur als Spiel der Körper unter der Sonne“. Verdrängt Bruno Tauts Gedanken der musikalisierten Architektur, die die Entstehung von musi- kalischer und architektonischer Form aus einem kosmischen Urgrund darstellt. Landauf und landab entstehen so Räume unter völlig illusorischen, da eingeschränkten Bedingungen, die mit synästhetischer Realität später nichts mehr zu tun haben. Der Klang der Architektur spielt entwerferisch keine Rolle; stumme Architektur.
Schwerhörenden Planern sei die Lektüre Peter Androschs „Akustisches Manifest“ wärmstens empfohlen. Ein architekto- nischer Ohrenputzer gewissermaßen. Ebenso Joachim-Ernst Berendts Vergleich Auge und Ohr in „Das Dritte Ohr. Vom Hören der Welt“. Architektur ist zum Primat des Optischen verkommen und muss die Kompetenz der Gestaltung des Hörbaren wieder lernen.
Ein Lichtblick – pardon – Hörimpuls: Architekten sind auch Komponisten, wenngleich meist unbewusst. Raumgröße, Raumproportion, Materialien, Strukturen, Formen – werden bislang nahezu ausschließlich beurteilt und ausgesucht nach visuell ästhetischen Bewertungskriterien.
Die Zahl der Raumgestalter, die in Räume mit ähnlicher Auf- merksamkeit und Virtuosität auf akustisch-ästhetischer Ebene hineinhören, scheint noch sehr begrenzt.
These II:
Es wird zu selten differenziert zwischen Bauakustik und Raum- akustik.
Jeder, der ein Architekturstudium durchläuft, lernt die „Welt des Dämmens und Dichtens“ zu schätzen, verleiht sie doch den späteren Planern das Gefühl des Gewappnetsein vor Pla- nungsfehlern.
Berechenbare Antworten auf physikalische Herausforderun- gen: Lärm- und Emissionsschutz sind offenbar mathematisch zu lösen. Bauakustische Themen sind, anders als raumakusti- sche Belange, Teil architektonischer DNA.
Anders als Bauakustik hat Raumakustik vielmehr mit hören- den Ohren und menschlicher Interaktion beziehungsweise
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Interpretation des Raumes zu tun. Die Ausgewogenheit zwi- schen Absorption und Reflexion definiert ein nicht enden wol- lendes Entwurfsspiel in der Raumgestaltung, die Hörerwar- tung und Hörerfahrung von Menschen mit dem Raum positiv in Einklang bringt.
Entwurfskompetenz von Architekten erfährt Steigerung durch den Einbezug von Raumakustik, nicht nur als Rechenaufgabe, vielmehr als Entwurfsherausforderung. In jedem Planer schlummert auch ein Kompositeur; einer, der weiß, mit akusti- schen Störungen und Steigerungen umzugehen; einer, der Absorption und Reflexion gestalterisch mit Helligkeit und Dun- kelheit in Korrelation zu setzen weiß.
These III:
Architekten entDecken Gestaltungsspielräume im Raum. Bedeutung „Raumakustik“ und „zugeWandter Raumgestaltung“ steigt.
„Deckengestaltung“ findet sich bislang kaum im architektoni- schen Entwurfsvokabular. Decken sind bestenfalls Restflä- chen; Überbleibsel; Resultate von Forderungen zahlreicher Fachingenieure, die scheinbar immer die technisch besseren Argumente haben. Zufälliges Arrangement technischer Not- wendigkeiten – aus der Not geboren, selten koordiniert einer architektonischen Idee folgend; vielmehr Diktat mathemati- scher Forderungen und Richtlinien. Wand- und Deckenbeklei- dungen werden häufig unterschätzt und ihnen wird meist nur geringschätzend Synonym für „kaschierende Verkleidung“ zugebilligt. Im Entwurfsbewusstsein zahlreicher Baumeister rangieren insbesondere abgehängte Decken auf nieder- schwelligem Niveau von Tapeten, Teppichen und Stoffen.
Horizontale und vertikale Flächen in Räumen werden seither bestimmt von Fachleuten für Lüftung, Klima, Elektro- und Lichttechnik, Sicherheit, Steuerungs- und Meldeanlagen, Brandschutz, Hygiene usw.; und eben auch Akustiker. All diese sogenannten Spezialkönner beherrschen womöglich ihr spezifisches Fachgebiet; überzeugende Raumgestaltung in Toto kommt selten dabei heraus.
Kaum bekannt sind ästhetisch überzeugende Lüftungskon- zepte. Raumakustische Konzepte gleichen mehr einer For- melsammlung als einer Designhaltung. Fachingenieure sind mehr an Nachweissicherung interessiert denn an Integration von Technik in ein Gesamtgestaltungskonzept.
Architekten und Planer geben leichtfertig die Gestaltungsho- heit über den Raum aus den Händen und überlassen die Gestaltung der raumakustischen Atmosphäre allzu willfährig Technikern und Sachzwangverwaltern.
BDB-Nachrichten Journal spezial – Akustik/Decke